NSU Ro 80: Kultauto mit Kreiskolbenmotor
NSU Ro 80: Kultauto mit Kreiskolbenmotor
Wer sich für ein Auto mit Kreiskolbenmotor interessiert, muss Vorurteile aufgeben. Etwa den Glauben an den berüchtigten Ro 80-Gruß, bei dem die abgespreizten Finger die Anzahl der Austauschmotoren symbolisieren: „Völliger Quatsch”, stellt Ro 80-Liebhaber Kurt Friedrichs fest. Als Urheber des Grußes verdächtigen Chronisten die Konkurrenz. Die schien mächtig beunruhigt vom Ro 80. Der neue Motor drohte die Welt der „Schüttelhuber“ zu revolutionieren.
Der Kleinwagenhersteller NSU machte sich auf, in der Oberklasse mitzumischen. Auch eine persönliche Note war im Spiel. Etablierte Hersteller hatten den Erfinder des Wankelmotors abgewiesen. Felix Wankel ist dann bei NSU eingestiegen, denn die Neckarsulmer erkannten die Genialität seiner Erfindung. NSU und Wankel beteiligten Unternehmen aus aller Welt an der Weiterentwicklung des Kreiskolbenmotors. Die Betriebe mussten Lizenzgebühren bezahlen und ihre Erkenntnisse nach Neckarsulm berichten.
Frühe Wankel-Euphorie
Technophile Journalisten und Experten hielten viel von dem hubkolbenlosen Motor, dem in den 60er-Jahren eine grandiose Zukunft vorhergesagt wurde. So schrieb die Zeitschrift „hobby“ im November auf der Titelseite: „Die Welt erwartet den großen Wankel“. Dem Artikel zufolge würden insgesamt acht Motoren- und Automobilhersteller an Wankelmotoren arbeiten: Curtiss-Wright in den USA, Yanmar Diesel und Toyo Kogyo in Japan, Alfa Romeo in Italien sowie Daimler-Benz, Porsche und natürlich NSU als Lizenzgeber.
Sogar Wartburg sei mit NSU in Lizenzverhandlungen über die Nutzung von Wankelmotoren mit 50 bis 150 PS in einer neuen Wartburg-Limousine!
Als Toyo Kogyo, heute Mazda, 1966/67 den Sportwagen Cosmo mit einem Zweischeiben-Wankelmotor präsentierten, entstand für die Deutschen ein unheimlicher Zeitdruck: Ihre Führungsrolle war bedroht, der Ro 80 musste schnell erscheinen. Die Motorpresse lobte 1967 den völlig vibrationsfreien Motorlauf und die für damals außerordentliche Leistungsfähigkeit: Der Ro 80 war nach dem Oldsmobile Toronado der schnellste Fronttriebler der Welt!
Auch die Straßenlage erhielt höchstes Lob, in „hobby“ 19/1967 wird das Fahrverhalten als vorbildlich neutral bewertet, die Lenkung sei spielend zu bedienen, und als Fazit heißt es: „Ein BMW mit Frontantrieb!“ Auch die ADAC Motorwelt, die im April 1968 den Ro 80 testet, hält die Straßenlage für das größte Kapital des Ro 80 und kommt sogar zu dem Schluss, dass die Hauptattraktion nicht der Motor, sondern das Fahrwerk sei!
Moniert werden jedoch der hohe Verbrauch, die nur dreistufige Halbautomatik sowie störende Geräusche vom Lüftungsgebläse im Innenraum. Dazu befragt, antwortet Dr. H. G. Wenderoth, Entwicklungsleiter bei NSU, damals wie folgt: „Sie glauben gar nicht, was ein so leiser Motor für Sorgen machen kann.
Jetzt muß man Geräusche bekämpfen, die früher keinen Menschen gestört haben.“ Der Zeitdruck ist der größte Feind des Ro 80 gewesen. NSU bringt ihn übereilt auf den Markt. Zwar wurde der Wagen ausgiebig getestet, aber wie das im Testbetrieb nun mal so ist: Der Wagen läuft und läuft und wird nie richtig kalt.
Ausgiebige Testphase
„Kurzstrecken mit kaltem Motor mag der Ro 80 nicht!“, sagt Kurt Friedrichs. Bei jedem Kaltstart verdünne sich der Schmierfilm. Anfangs dürfen die Fahrer dem Motor per Choke zum Rundlauf helfen, dann übernimmt eine Startautomatik die Aufgabe.
Immer wieder haben die Testfahrer den Ro 80 über den Großglockner gescheucht. Autobahnen und Alpentunnels gibt es noch nicht, Standard bei der Urlaubsreise in den Süden ist das Überqueren der großen Alpenpässe. Die Neckarsulmer ahnen die wahren Qualitäten des Ro 80 als Langstreckenrenner.
Ergo ist er für Urlaubsreisen bestens geeignet, und Campinganhänger sind groß im Kommen. Zu deren Simulation hat der Testwagen meistens einen R 16 am Haken.
Lästiges Schieberuckeln und unregelmäßige Zündfolgen im Teillastbereich hatten schon vorher genervt. Jetzt ist bergauf nach mehrmaligem Anziehen der Schlepplast die Kupplung verschmort. Deshalb fällt in Neckarsulm die Entscheidung, den Ro 80 zunächst nur mit einer dreistufigen Selektivautomatik mit Drehmomentwandler anzubieten. Dabei wird die Kupplung automatisch getrennt, sowie man den Schalthebel berührt. Ein manuelles Schaltgetriebe ist nur als mögliche kostenpflichtige Option im Gespräch, wird aber nie angeboten.
Weil der Motor so drehfreudig ist, gewinnt der Ro 80 fast jeden Ampelsprint. Von 0–100 Kilometer vergehen im Text der ADAC Motorwelt 13,2 Sekunden, damit ist er einem BMW 2000 und dem Mercedes 250 ebenbürtig. Aber das Ausnutzen der Leistung kostet Sprit, im ungünstigeren Fall auch Punkte in Flensburg. Kurt Friedrichs über das leise Summen des Kreiskolbenmotors: „Plötzlich ist man 100 Kilometer schnell, im zweiten Gang, bei 5.000 Umdrehungen!“
Das Fahrwerk als korrektives Element? Fehlanzeige! Schon während der Erprobung gab es beim Lizenznehmer Citroën lange Gesichter. Nach einer Testfahrt glaubten die Franzosen, NSU habe beim Ro 80 ihre DS 21-Luftfederung kopiert. So perfekt sind Straßenlage und Komfort, jedoch ohne die französische Technik.
Auch die Endgeschwindigkeit von etwa 180 Stundenkilometern gilt zu jener Zeit für eine Limousine der oberen Mittelklasse als exzellent, nur wenig andere Modelle können da mithalten.
Formal seiner Zeit voraus
Die Maßstäbe setzende Karosserie hat Claus Luthe entworfen. Der Luftwiderstandsbeiwert von 0,355 ist auch heute noch konkurrenzfähig. Erreicht wird er durch die Keilform der Karosserie und einen Unterboden mit einem kaum erkennbaren Hängebauch. Die Keilform erzeugt über der Karosserie Überdruck, ohne bremsende Strömungsabrisse und störende Verwirbelungen.
Erst hinter der C-Säule entsteht ein Unterdruck. Den hält das Heckprofil in so maßvollen Grenzen, dass kein Saugeffekt entsteht.
Der leichte Hängebauch gleicht dem negativen Profil einer Flugzeugtragfläche. Wie bei einem Flugzeug über der Tragfläche, entsteht beim Ro 80 unter dem Fahrzeug ein Unterdruck. Aerodynamisch hat der Unterdruck die doppelte Wirkung des Überdrucks.
Durch den langen Radstand und die herausragend günstige Gewichtsverteilung entsteht ein exzellenter Geradeaus- und Kurvenlauf. Der Ro 80 ist selbst gegen seitliche Starkwinde unempfindlich.
Probleme im Alltag
Beim Motor galt es, die Probleme der Dichtigkeit und der Schmierung zu lösen. Ein langer Weg, den die Techniker fortsetzen, nachdem 1967 die Auslieferung des Ro 80 begonnen hat. NSU bietet eine Motorgarantie über 30.000 Kilometer oder über eine Laufzeit von eineinhalb Jahren. Zugleich fordert NSU das Überstellen defekter Motoren ins Werk, damit ein Ersatzmotor geliefert wird.
Das Händlernetz sei bei der differenzierenden Diagnose zwischen echten und Scheindefekten überfordert gewesen, heißt es in Fachkreisen. Im Zweifelsfall hätten die Werkstätten den Motor ausgebaut, verschickt und den Ersatzmotor eingebaut. Im Werk stellen die Techniker fest, dass der Großteil der Triebwerke keine ernsthaften Schäden hatte.
Oft mussten lediglich die Vergaser und der Zündzeitpunkt neu eingestellt werden. Dann liefen die Motoren auf dem Prüfstand und wurden als Austauschmotoren weiter verwendet.
Viele Motorschäden entstanden, weil der Wandler des Getriebes sich bei hoher Drehzahl ausdehnte, dann berührten sich das Pumpen- und das Turbinenrad. Dadurch gelangten Späne in den Motor, die schnell zu Schäden führten. Ein weiteres Problem war die ursprünglich verbaute Doppelzündung mit zwei Kerzen pro Kammer.
Das führte zu hohem Verschleiß der Unterbrecher-kontakte, was den Zündzeitpunkt veränderte und aufgrund der so entstehenden Frühzündung Motorschäden verursachte. Um das Drama zu vollenden, machten auch die Dichtleisten der frühen Motoren Probleme, sie brachen oder wurden undicht, was durch verbesserte Materialqualität der Dichtringe behoben werden konnte.
In der ersten Hälfte der 70er-Jahre sind die Probleme beseitigt. Aber dafür ist der Ro 80-Gruß in aller Munde.
Legenden leben länger!
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Club-Geschäftsführer Andreas Meyer hat gerade einen Audi 100 restauriert: „Das war schwieriger als das Restaurieren meines Ro 80!“