Ausgemustertes Taxi

Mercedes-Benz W 115, lang

Die Mercedes-Typen der Baureihe W115 haben den gelernten Automechaniker und langjährigen Taxiunternehmer Karl Heinz Busko sein halbes Leben begleitet. Auch im Ruhestand kann er diese Vergangen­heit nicht abstreifen. 

 
Mercedes Strich-8 (W115) © Auto Classic
Mercedes Strich-8 (W115)

Chromstoßstangen baumeln im Dutzend von der Decke, in schmalen Gängen hängen Kühlergrills an den Wänden wie Trophäen. Wem sich die Hallen von Karl Heinz Busko auf einem Bauernhof vor den Toren Münsters zum ers­­ten Mal öffnen, der glaubt, seinen Augen nicht zu trauen.

Auf mehreren Hundert Quadratmetern türmen sich die Ersatzteile für Mercedes der Baureihe Strich-8, wie die 1968 lancierten Mittelklassemodelle genannt werden. Nur wenig Raum bleibt, um sich zu bewegen, obwohl durchaus Ordnung herrscht im scheinbaren Chaos. Werkzeuge sind wohlgeordnet verwahrt für den nächsten Gebrauch.

Der gemeinsame Weg des gelernten Automechanikers mit der werkintern als W115 bezeichneten Serie reicht weit zurück. Heute 66-jährig, hat er mehr als sein halbes Leben mit und in ihnen zugebracht. Noch in der Heckflossenära begann der damalige Taxiunternehmer sein Geschäft und war seinerzeit von den technischen Neuerungen beim Modellwechsel Ende der 60er begeistert.

Diese Verbindung hält bis heute und war so eng, dass er noch 1999 – bis zum Ende seiner aktiven Unternehmerzeit – als Letzter seiner Art in Münster mit einem Strich-Achter-Taxi unterwegs war und damit richtiggehend legendär wurde. Da ist es nicht überraschend, dass Busko die liebgewonnenen Modelle auch als Klassiker weiter besitzt, fährt und eigenhändig aufarbeitet.

40 Jahre Erfahrung machten ihn zum Spezialisten. Wer ihm nicht abnehmen sollte, dass er sein Handwerk versteht, dem zeigt der langjährige Rennfahrer alte Bilder von seinem Eigenbau-Bergrennwagen, mit dem er in den 60er- und 70er-Jahren so manchen Erfolg einfahren konnte.

In den letzten 20 Jahren hat er sich seine jetzige Werkstatt aufgebaut. Obwohl für reines Hobby gedacht, muss die Einrichtung den Vergleich zu manch einer professionellen Schrauberbude nicht scheuen. Karl-Heinz Busko hat sich auf die gestreckte Version des Strich-8 spezialisiert. „Schon in der Taxizeit wollte ich immer gerne einen langen Strich-8 einsetzen, aber die waren gebraucht einfach nicht zu bekommen. Der größte Teil ging wohl in den Orient.“

1987 beginnt der lange Traum

Erst 1987 war es so weit. Von einem Bekannten erfuhr er, dass ein Taxiunternehmer im nahen Warendorf ein solches Fahrzeug besitzen würde. Aber der wollte partout nicht verkaufen, und es dauerte ein weiteres Jahr, bis der Handel über die Bühne ging.

Nach dem Ankauf des ersten Wagens ging es allerdings vergleichsweise schnell, und innerhalb weniger Monate waren zwei weitere Stretchlimousinen in Münster angekommen – alle in jämmerlichem Zustand. Eigentlich waren das schon zu viele, aber was bleibt dann übrig, als nach und nach alle drei aufzuarbeiten, denn – da ist Busko entschieden: „Ich würde nie einen Langen ausschlachten, dafür sind die einfach zu wertvoll, da ich habe schon besser erhaltene Kurze als Teilelager zerlegt.“

Etwa um 1995 herum begann mit dem 230-6 aus Warendorf die lange Geschichte der Restaurierung. Nach einigen Jahren intensiver Arbeit erstrahlt die früher schwarze Langlimousine nach einer Komplettres­tauration seit 2000 – natürlich – im typischen Taxibeige. Aber das war  nicht mehr rechtzeitig, um ihn im kommerziellen Betrieb einzusetzen.

Im Moment steht ein blauer 230-6 Automatik von 1974 auf der Hebebühne. Über den schlechten Zustand wundert sich der erfahrene Münsteraner, denn obwohl der Wagen nur eine Autovermietung als Vorbesitzer hatte, stellte er sich als Fall für eine Komplettsanierung heraus. Busko weiß selbst nicht, warum, einfach nur eine hohe Laufleistung kann eigentlich nicht der Grund gewesen sein.

Hier zeigt sich, dass auch bei den Stuttgartern aus dieser Zeit Rostfraß trotz der ansonsten schon damals makellosen Verarbeitung heute nicht zu Unrecht als Hauptproblem gilt. An diesem Fahrzeug zeigt sich auch, welcher Aufwand für eine Vollrestaurierung zu betreiben ist.

1Der Strich-8 gilt allgemein als schwer zu restaurieren. Insbesondere von unten sind viele Stellen kaum erreichbar, wie die senkrechten Bleche oberhalb, vor und über der Hinterachse, zumindest nicht, ohne den Achsträger auszubauen.

Die Schwachstellen wiederholen sich immer, da tritt in der westfälischen Scheunenwerkstatt mittlerweile Routine ein. Als klassische Bereiche nennt der Spezialist die Radläufe, insbesondere hinten, sowie Schweller und Stehbleche am Übergang zu den Bodenblechen. Die Traverse unter dem Kühler ist fast schon legendär, auch die Bodenbleche unter der Fahrgastzelle und im Bereich des Kofferraums sind eigentlich immer verrostet.

Die zerlegte Limousine offenbart die Grundzüge des Umbaus von Kurz zu Lang. Um die 47 zusätzlichen Zentimeter zu gewinnen, wurde eine Normalversion im Werk gestreckt. Fast alle Teile entsprechen denen des normalen W115, und die entsprechenden Bereiche wurden einfach verlängert: In die Kardanwelle etwa wurde nur ein Zwischenstück eingesetzt.

Besonders gut lässt sich im Inneren der hinteren Türen erkennen, dass sie auf der Kurzversion basieren. Die Radkästen der Normalversion sind zu sehen, ebenso die Übergänge, an denen die Türen verlängert wurden. Diese Innenansicht veranschaulicht auch, warum sich nur der vordere Bereich der Scheibe runterkurbeln lässt.

Blechteile gibt es kaum mehr

Weil die beiden Varianten großenteils identisch sind, kann über weite Bereiche auf Ersatzteile aus dem Standardregal von Mercedes zurückgegriffen werden. In begrenztem Umfang stehen noch Originalteile beim Händler in der Liste. Karl Heinz Busko konnte zum Beispiel noch ein neues Heckblech für sein jetziges Vorhaben ergattern – es war aber nach ernst zu nehmenden Aussagen des Händlers das Vorletzte, das im Zentrallager noch aufzutreiben war.

Der Münsteraner sieht aber einem möglichen Engpass gelassen entgegen. Mit einer ausholenden Geste zeigt er auf sein Reich und fügt hinzu, dass dort etwa zehn kurze Fahrzeuge ausgeschlachtet als Ersatzteillager zur Verfügung stehen. Mit sicherem Gespür hat er sich mit den meisten Teilen seines fast unendlichen Fundus schon vor mindestens zehn Jahren eingedeckt: „Da war das Angebot noch richtig groß – und die Preise deutlich niedriger.

Viele Teile müssen dennoch eigenhändig hergestellt und angepasst werden, wie der unterste Bereich der Reserveradwanne oder Teile der Bodenbleche. Für den Kofferraum und den Vorderwagen gab es noch Werksersatz, aber an anderen Stellen war Handarbeit gefragt.

„Eigentlich fertigen wir alles selbst, sogar die Versteifungssicken in den Bodenblechen“, so der Fachmann. Gern zeigt er Bodenbleche, die er aus seinen Objekten entfernt hat: „Da wurden mitunter mehrere Bleche einfach auf die durchgerostete Bodenwanne geschweißt.“

Die Schweller wurden neu zusammengesetzt aus Teilen von kurzen Strich-8-Modellen, genau wie seinerzeit bei Mercedes. Beim Zusammenbau des Wagens müssen die Leitungen für Kraftstoff, Hydraulik und Bremsen neu gelegt werden. Das Biegen der dünnen CuNiFer-Rohre muss von Hand gemacht werden, hier sind Kraft, Gefühl und vor allem Erfahrung vonnöten, um sie nicht zu knicken.

Wesentliche Eigenständigkeiten liegen im Detail, und hier rät Busko zur Obacht. Für den Volllastbetrieb waren die langen Modelle mit einer selbsteinstellenden Niveaulifthydraulik ausgestattet, wie auch in den Sonderkombis wie Bestattungsfahrzeugen. „Oft wurden hier nachträglich einfach die Standardstoßdämpfer der kurzen Limousine eingebaut“, weiß er aus eigener Erfahrung.

Deshalb sind die Druckausgleichsbehälter und das Regelventil rare Ersatzteile. Der Münsteraner bevorzugt schon aus einem anderen Grund die Benziner: „Die Hochdruckpumpe für die Hydraulikversorgung der Hinterachse sitzt beim Benziner am Block und kann ausgetauscht werden. In der Dieselversion ist sie im Zylinderkopf verbaut und erfordert beim Tausch auch einen neuen Kopf.“

Vor Blecharbeiten ist dem erfahrenen Handwerker nicht bange, doch besonders achtet er auf den Erhalt der Inneneinrichtung inklusive Dachhimmel und Türverkleidungen. Sind sie noch in sehr gutem Zustand, gelingt auch die Restaurierung, denn Ersatz ist hier kaum zu finden und nur aufwendig nachzufertigen.

Es gibt in jedem Fall noch einiges zu tun, denn unter einer schützenden Schicht von allerlei Krempel und Teilen ruht immer noch der Dritte lange 230/6 und harrt der Dinge, die da kommen. Karl-Heinz Busko hofft, in vier Jahren auch damit fertig zu sein.

TEXT und FOTOS: Bodo Wistinghausen
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