Mercedes-Benz „Ponton“ - Ikone des Wirtschaftswunders
„Neuer deutscher Auto- Trumpf“: So überschrieb die Zeitschrift „hobby“ im November 1953 ihren Test eines Mercedes 180
Und dann kam der Stadtverkehr. Stephan Padinka wird am Volant seines Mercedes-Benz 180 nervös: „Das mag er gar nicht, da kriegt er Hitzestau.“ Mannheim um vier Uhr nachmittags ist eben keine luftige Promenade am Starnberger See, und das Kühlsystem des Ponton-Benz nicht mehr so frisch wie anno 1961.
Padinka schert aus, biegt ab und bahnt sich seinen Weg durch immer engere Seitenstraßen. Die Thermometernadel fällt, der Stau ist überholt. Jetzt zeigen Menschen mit Fingern auf uns und lachen. Bitte, Leute, etwas Contenance! Ein Benz ist was Ernstes, kein heiterer Boulevard-Flaneur!
Doch dann wird uns klar: Sie lachen, weil sie ihn mögen, den Benz. Vielleicht, weil Opa einen Ponton hatte, oder weil der erste Bürger-Mercedes mit dem Abstand von fast 60 Jahren nicht mehr so ältlich, sondern nur noch barock wirkt. Oder ganz einfach deshalb, weil sie selbst „beim Benz“ (wie das Mannheimer Daimler Werk noch immer genannt wird) arbeiten.
Aufbruch in die Moderne
Es war ein schwieriger Weg, bis der Ponton-Mercedes auf den Rädern und vor der Kundschaft stand. Der Krieg hatte die Sternenkreuzer-Werften Untertürkheim und Sindelfingen fast vollständig zerstört, doch schon 1946 setzten die Daimler-Benz-Werker wieder erste Exemplare vom Vorkriegstyp 170V zusammen.
Dass Mercedes-Benz nur mit frisch aufgekochten Vorkriegsspezialitäten nicht ewig würde überleben können, wurde mit der Zeit immer deutlicher. Carl F. W. Borgward zum Beispiel beginnt 1949, seinen Borgward Hansa 1500 zu bauen – mit einer modernen, glattflächigen Ponton-Karosserie nach amerikanischem Vorbild.
Frei stehende Kotflügel, Trittbretter und trutzige Kühler mit Stern fallen Anfang der 50er-Jahre zwar noch nicht als gestrig auf; aber Daimler-Benz sieht die Notwendigkeit, die zugkräftige Mittelklasse durch einen modernen Wagen bereichern zu müssen. Ein Wagen nach Art des Hauses, der nichts von der typischen, soliden Gestrigkeit vermissen lässt, die gerade zur Markenidentität heranreift.
Technisch ausgereift und langlebig
Dabei darf nicht vergessen werden, dass Daimler-Benz erst 1936 mit dem 170 V zum Großserienhersteller wurde. Seither gab‘s zwischendurch einen Krieg, 1949 die Weiterentwicklung 170 S, 1951 auch in aufgedunsener Form als luxuriöser 220 (W187), und im selben Jahr auch den 300, den die junge Bundesrepublik schon bald als „Adenauer“ adoptiert.
Im September 1953 steht der völlig neu konstruierte Typ 180 (W 120) mit Ponton-Karosserie vor den Vertretern der Presse, und Daimler-Benz-Chef Fritz Könecke erklärt, ein „allzu konservatives Beharren auf einmal gefundenen Lösungen“ könne über kurz oder lang die Unverkäuflichkeit der Produkte nach sich ziehen.
Dabei gelten die Untertürkheimer schon damals nicht als Vorreiter konstruktiver Neuerungen; was sich nicht schon bewährt hat, wird auch nicht vom Stern geadelt. Denn mehr noch als das Prestige der Marke schätzt die Kundschaft deren sprichwörtliche Solidität.
Weil sich der X-förmige Rahmen des 170 V als besonders stabil erwiesen hat, pflegt ihn das Konstruktionsbüro in die selbst tragende Karosseriestruktur des W 120 ein. In Form eines dicken Mittelrohrs mit je zwei Auslegern an jedem Ende in die Bodengruppe integriert, formt er in Verbindung mit vier Quertraversen eine Rahmen-Boden-Anlage, deren Steifigkeit Maßstäbe setzt.
Die Vorderachse besteht aus doppelten Querlenkern, Schraubenfedern und Teleskopdämpfern, wie schon beim 170 Sb. Neu ist allerdings die Montage in einer „Fahrschemel“ genannten Einheit: Vorderachse, Motor und Getriebe ruhen gemeinsam auf einem massiven, U-förmigen Hilfsrahmen, der im Werk nur noch mit der Karosserie verschraubt werden muss.
Auch die klassische hintere Pendelachse mit Schubstreben, ist ein Vorkriegserbstück – und im 180 dann doch überfordert: Besonders bei Nässe gerät so manch Ahnungsloser auf die schiefe Bahn. Die ab Anfang 1956 verwendete Eingelenk-Pendelachse funktioniert im Vergleich zwar besser, verzeiht am Lenkrad aber weder Unaufmerksamkeit noch Übermut.
Der kommt mit den 52 PS des aus dem 170 Sb übernommenen Seitenventilers ohnehin kaum auf. Immerhin lässt sich mit einem vollsynchronisierten Vierganggetriebe gegen konstruktiv bedingte Müdigkeit anschalten. Im Innenraum gibt es Einzelsitze oder auf Wunsch eine Sitzbank, einen winzigen, runden Tacho mit vier Zusatzinstrumenten und einen drehbaren Hupenring zur Betätigung der Blinker.
Eine Sonnenblende für den Beifahrer oder gar Türinnentaschen gibt es nicht, und zeitgenössische Tester stellen mit fest, dass der Kunstlederüberzug des Armaturenbretts nicht die Polsterung besitzt, die er vermuten lässt. Über dramatischere Schwächen klagt niemand. Mit 126 Kilometern Höchstgeschwindigkeit liegt der Ponton im Durchschnitt, und mit 9.950 DM kostet er so viel wie zwei Export-Käfer.
Für 350 DM mehr hat Mercedes ab März 1954 sogar noch weniger Leistung im Programm. Der 180 D ist äußerlich nicht vom Benziner zu unterscheiden. Mit dem 40 PS starken Vorkammer-Dieselmotor OM 636 verfügt er über, sagen wir, große Langmut. Kraftdroschken-Besitzer geraten in Verzückung und legen Millionen Kilometer mit ihm zurück.
Angesichts des niedrigen Verbrauchs von im Schnitt nur acht Litern stört es sie wenig, dass der Ölmotor ein Liedchen hämmert, als wolle er den Asphalt aufbrechen, auf dem er rollt. Auffallend deutlich vermeidet etwa die „Motor Rundschau“ detaillierte Kommentare zum Charakter des Wagens und stürzt sich stattdessen auf die Vorzüge der Sindelfinger Karosserie, „die zwar bewußt konservativ in Form und Ausstattung, aber geschmackvoll, behaglich, bequem, solide und durchdacht ist“.
80 Stundenkilometer erschleicht sich der 180 D in 22 Sekunden und braucht damit neun Sekunden mehr als der Benziner. 1955 steht der 105 Ps starke 190 SL bei den Händlern – für die Besitzer von Sinatra bis Nitribitt eine unprätentiöse Form von Luxus.
Modellpflege mit zeitgemäßen Motoren
Im Jahr darauf offeriert die Sternen-Marke den SL-Motor auch in der Karosserie des Ponton: Der Typ 190 hört auf die Bezeichnung W 121 und holt aus 1.897 Kubikzentimetern Hubraum 75 PS bei 4.600 U/min. Die auf 7,5 reduzierte Verdichtung, ein Zylinderkopf mit kleineren Ein- und Auslasskanälen sowie ein einziger Fallstromvergaser sorgen für die Minderleistung, die den Ponton zumindest auf dem Papier einer Borgward Isabella TS oder einem Volvo Amazon gleichstellen.
Chromrahmen um die Fenster und eine breite Zierleiste darunter zeichnen den 190er aus, Dreiecksfenster in den vorderen Türen sorgen für eine bessere Belüftung. Die Front zieren unterschiedlich lange Zierleisten an den Lufteinlässen, und während der 180 jetzt nur noch 8.760 DM kostet, beläuft sich der Preis eines 190 auf 9.450 DM.
Der Motor mit oben liegender Nockenwelle wird ab 1957 noch einmal um 10 PS gedrosselt und löst im 180 den antiquierten Seitenventiler ab. Intern 180a genannt, unterscheiden sich seine Fahrleistungen kaum vom 190 – zumal er auch mit zweifarbigem Innenraum, der breiteren Kühlermaske und den größeren Heckleuchten diesem angepasst wird.
Dreiecksfenster, Heizungsgebläse oder Lichthupe kosten im 180 aber Aufpreis und führen dem Käufer vor Augen, dass er eine Benz-Klasse niedriger fährt. Natürlich verkauft sich der 190 prächtig. Nebenbei sei noch der 190 D von 1958 erwähnt, der mit dem auf dem Benziner basierenden OM 621 nun 50 PS auf die Straße bringt und auch unter den Selbstzündern einen Generationenwechsel einläutet.
In demselben Jahr übernimmt Daimler-Benz die Auto-Union, was aus Sicht des Vorstands ein weiteres Downsizing der Sternen-Wagen unnötig macht: Die Kundschaft soll im DKW ein- und später dann zum Mercedes aufsteigen.
Im August 1959 erscheint das letzte Facelift der kleinen Ponton-Baureihe. Die Typen 180b (68 PS) und 190b (80 PS) besitzen einen nochmals breiteren Kühler, dessen Form bereits das Gesicht der „Kleinen Heckflosse“ 190c vorwegnimmt. Die Stoßstangen sind angeschwollen, die Rückleuchten größer geworden, das Armaturenbrett endlich doch oben und unten leicht gepolstert, und hinter einem neuen Lenkrad mit kreisrunder Prallplatte findet sich ein einfacher Blinkerhebel.
Gleiter mit Komfort und Stil
Die Tür wuppt ins Sicherheitszapfenschloss, und wir sitzen wieder im 180 von Stephan Padinka, der eben jener Generation angehört. „Eigentlich sollte er perlmuttgrün sein“, erläutert der Mannheimer, „aber da hatte der Lackierer wohl einen schlechten Tag und sich irgendwie im Farbton geirrt.“ Macht nichts, denn man kann nicht behaupten, die Farbe stehe dem Auto nicht. Padinkas 180 ist nichts für Hochglanzfanatiker, trägt seine Macken mit Würde und lädt ein zum Fahren ohne Reue.
Das große Lenkrad, die hohe Sitzposition, die weichen Sitze, die sanft wogende Fahrwerkabstimmung – das alles wirkt sehr souverän. Auch deshalb, weil der Ponton überraschenderweise agiler fährt, als er zunächst wirkt. Der Motor gibt sich drehfreudig, die Lenkradschaltung präzise, und die Bremsen – nun ja, der 180er mag ja von 1961 stammen, doch er ist eindeutig ein Kind der 50er.
Der Lichtschalter sitzt bereits ganz links am Armaturenbrett, wo ihn auch die neuesten Benze noch haben. Klapper- oder Quietschgeräusche sind ihm fremd, vollständige Solidität ist Programm. Autotester Werner Oswald schrieb schon in den 50ern, „daß man ihn ohne jegliche Vorbereitung bestens ‚in der Hand‘ hat, daß man sich in ihm sofort heimisch fühlt, daß man vom ersten Augenblick an bedenkenlos bis an die Grenze seiner durch Motor und Fahrwerk gegebenen Möglichkeiten gehen kann“.
So wurde im W 120 zum ersten Mal das umgesetzt, was man als „Mercedes-Prinzip“ bezeichnen könnte: den Fahrer in Ruhe lassen und ihm so viel wie möglich abnehmen. Nein, ein Boulevard-Flaneur ist er wahrlich nicht. Aber das ist es ja, was wir am Ponton-Benz so lieben: Er ist einer von uns.
TEXT: Frederik E. Scherer FOTOS: Frederik E. Scherer, Sven Storbek/ComomonsMedia, Daimler-Benz Klassik, Robotriot/CommonsMedia, Opel Classic, Volvo