Citroën 2 CV: Der französische Volkswagen
Zum Kippen zu schade: Eine Ente legt sich in Kurven regelrecht rein.
Automobiltechnisch gesehen stehen Enten auf der Roten Liste für bedrohte Arten. Wer sich im Straßenbild umschaut, wird feststellen: der Citroën 2 CV ist fast ausgestorben. Das Kraftfahrtbundesamt belegt dies mit harten Zahlen: Waren 1990 – im letzten Produktionsjahr – noch rund 300.000 2 CV bei uns zugelassen, überlebten zum Januar des Jahres 2009 nicht mal mehr 13.000 angemeldete automobile Federviecher.
Den Enten-Bestand hat es arg zerrupft. Schuld sind die TÜV-Prüfer dieser Welt, die faustgroße Löcher im Boden und sonst wo im Blechgefieder in Kombination mit der früher häufig recht liederlichen Pflegementalität vieler Enten-Halter einfach nicht akzeptieren wollen (und können!) und deshalb die kostbare Plakette oft schnöde versagen.
Das wäre heute, zwanzig Jahre nach dem Produktionsstopp, wenig überraschend. Doch auch zu Lebzeiten scheiterte jeder zweite Enterich laut zeitgenössischen ADAC-Berichten bereits bei der ersten Hauptuntersuchung nach zwei Jahren wegen erheblicher Mängel.
Spartaner auf Rädern
Das ist kein Wunder, denn die Ente sollte nach dem Willen ihrer Erfinder nie mehr sein als ein Vehikel, das Menschen und möglichst viel Transportgut einigermaßen trocken und bequem von A nach B bringt. Es sollte leicht bedienbar und dabei preiswert sein. Komfort, gute Ausstattung oder perfekte Verarbeitung wurden nie angestrebt.
Zudem kämpfte Citroën nach gewaltigen finanziellen Belastungen wie dem Bau des Werks Javel und der Neukonstruktion des Traction Avant ums Überleben und wurde schließlich vom französischen Reifenhersteller Michelin übernommen. Bereits 1936 hat Citroën-Verwaltungsrat Pierre-Jules Boulanger, der ab 1938 Chef von Citroën war, das Lastenheft für den 2 CV formuliert: Der neue Kleinwagen sollte vier Personen, einen Zentner Kartoffeln oder ein großes Weinfass mit 60 Stundenkilometern transportieren können und dabei nicht mehr als drei Liter auf hundert Kilometer verbrauchen. Gern wird in diesem Zusammenhang auch die Geschichte mit den rohen Eiern auf der Rückbank und den Gummistiefeln an den Füßen des Fahrers kolportiert.
Drei Jahre später stehen 250 einäugige Aluprototypen mit wassergekühltem Antrieb zur Erprobung bereit, doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindert eine Serienfertigung – es gibt Wichtigeres zu produzieren ...
Erst 1948 steht auf dem Pariser Autosalon das neue Sparmobil, 1949 schließlich werden die ersten Serien-Enten mit mageren neun PS und 65 Stundenkilometer Spitze aus einem luftgekühlten Zweizylinder-Boxermotor mit lediglich 375 Kubikzentimetern Hubraum vorzugsweise an Landwirte zugeteilt: Die Produktionsmittel nach dem Krieg sind knapp, die Nachfrage kann nicht befriedigt werden, es gab Wartelisten von bis zu sechs Jahren!
Zwei Jahre später, 1951, folgt die praktische Kastenente mit hinteren Flügeltüren und im selben Jahr wird die Ente zur Festung: Sie erhält ein Zündschloss und eine abschließbare Fahrertür! Sechs Jahre danach, 1955, fährt die Produktion endlich einigermaßen dem Bedarf entsprechend nach oben, und gleichzeitig widerfährt der Ente in der Version AZ eine wahre Leistungsexplosion: Die PS-Zahl ist mit dem auf 425 Kubikzentimeter vergrößerten Motor um immerhin 33 Prozent auf jetzt 12,5 PS gestiegen, was zu einem wahren Geschwindigkeitsrausch unter den sich im Straßenverkehr stets grüßenden Enten-Ppiloten führt: Auf 80 Stundenkilometer kann das Entlein sich jetzt aufschwingen.
1957 gibt es dann auch eine Heizung und Lüftung ab Werk, und die Ausstattungsvariante „AZLP“ erhält einen Kofferaumdeckel aus Blech, bis dato wurde der Kofferraum durch das nach unten verlängerte Stoffdach abgedeckt. Das „P“ in der Typbezeichnung steht übrigens für porte de malle, also Heckklappe.
1960 legt der 2 CV seine markante Wellblechmotorhaube ab, kurz zuvor wird die allradgetriebene Sahara mit zwei voneinander unabhängigen Motoren präsentiert. 1962 steigt die Motorleistung auf 14 PS und 1963 schließlich liefert der tapfere Boxer dann 16 Pferde an die 15-Zoll-Vorderräder, die ab Werk natürlich von Michelin stammen und die nun auf 85 Stundenkilometer gestiegene Höchstgeschwindigkeit problemlos verkraften.
Der geschwindigkeitsabhängige Antrieb der Scheibenwischer über die Tachowelle weicht einer konventionellen Lösung mit separatem Elektromotor. Ein Jahr später, 1964, verschwinden die Schmetterlingstüren, nun sind die vorderen Portale an der A-Säule angeschlagen.
1966 verbessert sich die Rundumsicht dank eines dritten Seitenfensters in der C-Säule der 2-CV-Karosserie. Im Folgejahr erscheint das etwas komfortablere, aber weniger erfolgreiche Schwestermodell, die Dyane, 1968 schließlich der Mehari, eine offene Variante, ideal für die Strandtour an der Côte d‘Azur.
Höhenflug in den 70ern
Die 70er-Jahre beginnen mit einer Modellbereinigung. Es werden nur noch zwei Entenvarianten gebaut: der 2 CV4 (AZKB) mit 435 Kubikzentimetern und 24 PS sowie der 2 CV6 (AZKA) mit dem 602 Kubikzentimer großen und 28 PS starken Motor, der nunmehr atemberaubende 110 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit ermöglicht.
1971 verschwindet die vordere Sitzbank aus dem Programm und wird durch Einzelsitze ersetzt. Im Jahr 1975 reduziert sich die Leistung von 28 auf 25 PS, damit der 2 CV die aktuellen Abgasnormen erfüllt. Außerdem machen sich die runden Lampen vorn nun eckig, um ein Jahr später im Sparmodell Spécial – ohne drittes Seitenfenster – wieder gerundet aufzutauchen.
Erst zehn Jahre später, 1981, gibt es erneut Neuheiten von der Enten-Zucht: Citroën präsentiert die rot-schwarz gefiederte „Charleston-Ente“, die mit 29 PS und innen liegenden Scheibenbremsen vorn zum 115 Kilometer schnellen Überflieger wird. Die eigentlich nur als limitiertes Sondermodell gedachte Charleston-Ente war so erfolgreich, dass sie wesentlich länger im Programm blieb, ab 1982 auch in Gelb-Schwarz erhältlich war und Chrom-Frontscheinwerfer spendiert bekam. Im selben Jahr wurden die Scheibenbremsen in allen Enten-Modellen zur Serienausstattung.
1986, an deutschen Tankstellen hält unverbleiter Sprit Einzug – folgt eine entsprechende Entenvariante, „I fly bleifrei“ genannt, die bleifreies Superbenzin verträgt. Zwei Jahre später ist Schluss mit dem französischen Geflügel, von nun an kommen alle 2 CV aus dem Werk Mangualde in Portugal.
Wiederum zwei Jahre darauf fliegt die letzte Ente im Juni 1990 nach über 5,1 Millionen gebauten Exemplaren endgültig zum letzten Nistplatz. Theoretische Nachfolger der automobilen Legende sind der bereits seit 1978 produzierte Visa und der ab 1986 gefertigte Kantling AX mit einer Heckklappe aus Kunststoff.
Einfach, genial, komfortabel
Trotz der spartanischen Grundkonzeption ist vor allem das Fahrwerk der Ente ein Geniestreich, die dem Minimalauto Fahrkomfort und Fahrsicherheit beschert, die bei vielen teureren Fahrzeugen nicht vorhanden waren. Jedes Rad ist einzeln an einer Schwinge aufgehängt, die Federung übernehmen längs liegende horizontale Federtöpfe – jeweils das Vorder- und das Hinterrad einer Seite sind durch diesen Federtopf verbunden.
Die langen Federwege sorgen für eine erstaunliche Geländegängigkeit, die weiche und komfortable Federabstimmung und das Fehlen jeglicher Stabilisatoren in Kurven bringen die Karosse schon bei moderaten Geschwindigkeiten in abenteuerliche Schräglagen. Es gab seinerzeit offizielle Wettbewerbe, bei denen es darum ging, einen serienmäßigen 2 CV in der Kurve umzuwerfen.
Es ist jedoch kein Fall überliefert, in dem dies gelang. Zwar legt sich eine Ente mächtig in Kurven, doch kippen tut sie nicht. Und auch die Sitze, die lange Zeit wie Campingstühle aussahen, waren zwar sicherlich preiswert in der Herstellung, aber auch erstaunlich bequem, was man bis in die 60er-Jahre hinein von manch anderem automobilen Gestühl nicht behaupten konnte …
Später Erfolg in Deutschland
Während der 2 CV in Frankreich vom ersten Tag an ein Erfolg war und, wie von Citroën gedacht, zum Volkswagen für das „einfache Volk“ wurde, tat sich das Minimalauto in Deutschland schwer, was wohl nicht nur daran lag, dass etwa 1963 die „De-luxe-Ente“ mit einem Listenpreis von 4.120 DM gerade einmal zehn DM preiswerter als der deutlich erwachsenere Standard-Käfer war.
Anfang der 70er hingegen kostete die Ente immer noch gerade einmal 4.700 DM, während der Käfer mit einem Preis von 6.500 DM deutlich teurer war. Ob das mit ein Grund dafür war, dass der 2 CV vor allem bei, wie es das Zeitgeistfachblatt „auto motor und sport“ seinerzeit ausdrückte, „Leuten mit nonkonformistischer Geisteshaltung“ beliebt war? Einfach ausgedrückt: Die Ente wurde in Deutschland zum Erkennungszeichen von Studenten, Lebenskünstlern und Wandervögeln, die mit dem Entlein für wenig Geld die Welt erfuhren.
Einmal Kult, immer Kult
Und im Grunde genommen ist das bis heute so geblieben, denn wer eine Ente als Klassiker bewegt, verweigert sich dem gängigen Klischee von „sportlich, dynamisch und hochwertig“ mit aller Konsequenz. Wahrscheinlich genau deshalb ist selbst eine noch so karg ausgestattete Ente bei jeder Oldtimerrallye der umschwärmte Sympathieträger, der zudem eine mehr als beachtliche Wertentwicklung hingelegt hat.
Kein anderer Oldie hat eine höhere prozentuale Preissteigerung in den vergangenen Jahren verzeichnet als die Ente. Dennoch darf bei aller automobilen Romantik nicht verklärt werden, dass der 2 CV von aktuellen Sicherheitsstandards so weit entfernt ist wie sein letzter Neupreis (rund 10.000 Mark) vom Anschaffungsbudget eines Rolls-Royce. Bereits ein kleiner Stoß vorn lässt den fragilen Kastenrahmen zur Ziehharmonika stauchen.
Die Folge: Das Lenkgetriebe fluchtet nicht mehr mit dem oberen Säulenlager und das simple Rohr kann beim Lenken unter Last einfach abscheren. So ist es dem Autor dieser Zeilen vor Jahren bei einem Frankreich-Urlaub nach einem leichten, aber unsanften Kontakt mit einem Poller beim Ausparken selbst widerfahren. Und auch die Bremsen zeigen sich stets leicht überfordert, ebenso wie die Motoren, deren Fahrleistungen nicht erst heutzutage kaum als autobahntauglich bezeichnet werden können. Dies gilt natürlich besonders für die frühen Enten mit dem 0,4-Liter-Motörchen.
Fazit zum Citroën 2 CV
Der Citroën-Charme liegt im Verzicht auf vermeintlich nötigen Luxus und der damit verbundenen Entschleunigung. Wer braucht eine aufwendige Heizung oder Klimaanlage, wenn man einfach das Dach aufrollen kann? Wer braucht Kurbelfenster, wenn man einfach die untere Scheibenhälfte mit dem Ellenbogen aufklappt? Wer braucht ein tolles Armaturenbrett, wo es doch beim gemütlichen Autowandern so viel Interessantes außerhalb des Autos zu sehen gibt, und warum sollte man schneller als 80 oder 90 fahren, wenn man damit höchstens ein paar Minuten Zeit gewinnt?