DDR-Klassiker

Wartburg 311/312: Darauf müssen Sie beim Kauf achten

Der Wartburg 311/312 war so begehrt, dass die Menschen eineinhalb Jahrzehnte auf ihn warteten. Nach der Wende war er Schnee von gestern. Heute gehört er zu den Klassikern. 

 
311 Coupé: Mit Zweifarblackierung und barocken Formen ein gelungenes Kind der 50er-Jahre. © Peter Böhlke
311 Coupé: Mit Zweifarblackierung und barocken Formen ein gelungenes Kind der 50er-Jahre.

Die Bombe schlug zweimal ein. Erst in der Ministerial­büro­kra­tie, dann in der Sozia­-   lis­tischen Einheitspartei Deutsch­lands (SED). Im Minis­terium war die Wirkung verheerend, in der Partei herrschte Begeisterung. Der Sprengstoff kam als neue Mittelklasselimousine daher. Die Explosionen gezündet hatte EMW-Chef Martin Zimmermann – durch eine unange­meldete Fahrzeugpräsentation in (Ost-)Berlin: Daraus entstand der Wartburg 311.

In den 50er-Jahren schlich die Exis­tenz­angst durch das Automobilwerk in Eisenach. Den Thüringern fehlte der Fol­geauftrag für den IFA F9. Deshalb ent­wickelten die Eisenacher Motorenwerke (EMW) selbst ein neues Auto. Ohne Genehmigung. Die Mittel wurden aus der laufenden Produktion abgezweigt. Wie das in einem Überwachungsstaat gelang, versucht ein Insider – damals Lehrling und später im Führungskader, also dem Management bei AWE – so zu erklären: „Damals gehörte die Loyalität der Genossen erst dem Betrieb und dann der Partei und dem Staat.“

Geheimsache Wartburg 311

Der für die ostdeutsche Automobili­n­dus­trie zuständige Minister soll getobt haben, als er von den Eigenmächtig­keiten der Eisenacher erfuhr. Aber die Würfel waren gefallen. Zimmermann hatte die SED auf seine Seite gebracht, und die traf die Entscheidungen. EMW erhielt die ­Genehmigung zur Serienfertigung. Kurz darauf wurde EMW in AWE (Automobilwerk Eisenach) umbenannt. Es entstand eine Fahrzeugfamilie, die heute zu den Klassikern zählt. Neben der Standardlimousine Wartburg 311 baute AWE das Cabrio 311/2, den Schnelltransporter 311/7, die Schiebedach­limousine 311/8 und den Kombi 311/9. 1957 kamen die Luxuslimousine 311/1, das Coupé 311/3, der Einsatzwagen 311/4, der Camping 311/5, die Rechtslenkerlimousine 311/6 und der vom Wartburg abgeleitete Sportwagen 313/1 dazu. Ab 1965 lief der Wartburg 312 vom Band. Ihn gab es als Limousine, Camping und Hardtop (HT). Äußerlich kaum vom 311 zu unterscheiden, entsprach das Fahrwerk schon weitgehend dem späteren Wartburg 353. Produktionszahlen waren durch die Plan­wirtschaft gesteuert, die Beliebtheit der Typen lässt sich so nicht messen. Am häufigsten wurden die Limousine 311/1 und der Camping 311/5 gebaut.

Technik: Veraltet und haltbar

Die Schwachstelle des Wartburgs war sein Zweitaktmotor, obwohl wartungsarm und standfest bis mindestens 100.000 Kilometer. Er passte in der Mitte der 50er-Jahre nicht mehr zur Mittelklasse, und zukunfts­weisend war er schon gar nicht. Die Eisenacher wussten das. Nicht zu wissen schien es die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Auto­mobilbau. Deren Direktorium verweigerte den von AWE entwickelten Viertaktmotoren die Serienfertigung.

Der Wartburg 311 war mit einer Ther­mo­­syphonkühlung ausgestattet: Warmes Wasser steigt nach oben, kühleres Wasser nach unten, ohne Thermostat und Pumpe. Der Kühler befand sich hinter dem Motor, der Kühllüfter war von der Drehzahl des Motors abhängig. Die Luft strömte durch den Grill, traf auf den Motor und geriet dann in den Sog des Lüfters, der sie durch den Kühler drückte. Bei langsamer Fahrt blieb der Durchsatz der Luft gering. Sie erwärmte sich auch noch beim Umströmen des Motors, bevor sie in den Kühler geriet. Je weiter sich das Kühlwasser erhitzte, desto langsamer zirkulierte es. Eine fatale Addition der Wechsel­wirkungen, bis der Motor kochte. Das war in der stauarmen DDR selten ein Problem, wohl aber nach dem Fall der Grenze, als auch Wartburg-Fahrer den Stau „lieben lernten“. Viele Besitzer haben mittlerweile einen Zusatzlüfter nachgerüstet und so für thermische Standfestigkeit gesorgt.

Andererseits: Je kälter der Winter, des­to niedriger die Betriebs­temperatur der Motoren. Auch die Heizung blieb dann kalt. Diesen Effekt minderte eine Jalousie, die vor dem Kühler angebracht war. Der Fahrer konnte sie per Bowdenzug am Armaturenbrett verstellen. Ende der 50er-Jahre wanderte die Jalousie nach vorne hinter den Grill. Im Sommer ließen sich die Lamellen so anstellen, dass die Luft über den Motor hinweg in den Kühler strömte. Der Motor lief nicht mehr so schnell heiß. Ab dem 2. Januar 1962 wurde der Wartburg mit dem 992 Kubik­zentimeter großen Motor („1000er“) ausgeliefert. Ein Thermostat und eine Wasserpumpe verbesserten die Heizwirkung und die Motorkühlung. Die Thermik war so günstig geworden, dass der Motor mit einem kleineren Kühler auskam. Der Wernigeröder Wartburg-Spezialist Jürgen Nagler: „Beim Fahren um den Gefrierpunkt neigen die Vergaser zum Vereisen.“ Das Eis verkleinert den Querschnitt des Einströmkanals, das Gemisch wird immer fetter – bis es nicht mehr zündet. Der 57-Jährige: „Während man anhält und die Haube aufmacht, hat die Motorwärme das Eis abgetaut, der Motor startet problemlos.

Motor: meist „optimiert“

Der 0,9-Liter-Motor des Wartburg 311 hatte erst 37 PS, ab 1961 40 PS. Der neue „1000er“ hatte 45 PS. Die Hubraumsteigerung wurde durch eine größere Bohrung und einen modifizierten Vergaser erreicht. Fast alle 900er-Motoren scheinen nachträglich gegen die größeren Motoren mit 992 Kubikzentimetern getauscht worden zu sein. „Kein Wartburg gleicht dem anderen!“, schätzt Jürgen Nagler. Knappes Material verursachte abweichende Details. Verbaut wurde das, was auf Lager war. Die AWE-Brigaden, also die Mitarbeiter in der Produktion, standen unter dem Druck der Planerfüllung.

Die Peripherie des Triebwerks kann noch wie früher oder wie ein Mix aus Alt und Neu aussehen. Mitunter stecken unter den Motorhauben gleicher Typen ungleiche Zündspulen in differierenden Lagen. Einige Wartburgs haben trotz neuen Motors das alte Kühlsystem mit großem Kühler, aber ohne Wasserpumpe und Thermostat. Auch das später serienmäßige Auffangblech unter dem Flachstromvergaser mag fehlen. Es verhinderte, dass aus dem Vergaser austretendes Gemisch auf den darunter liegenden Anlasser tropfte.

Laufende Verbesserungen waren eine Spezialität ostdeutscher Auto­besitzer. Soweit möglich, spendierten ihnen die Besitzer alle Neuerungen aus der laufenden Serie. Neuteile gab es eher als Ersatzteile für ältere Typen. Für Originalitätsfreunde der Horror.

Service: Wichtig, aber einfach

Kavalierstarts mit dem 1000er-Motor im Wartburg sind riskant. Dabei knacken dessen Antriebswellen gelegentlich durch. Nachdem sich die Zentralschmierung nicht bewährte, lieferte AWE den 311 mit circa 15 Schmierstellen aus. Die Zahl variierte, so gab es drei oder vier Schmierstellen am Schwenklager. Beim 312 bedurften nur noch das Kupplungs- und die Handbremsseile sowie die Pedalwelle der Schmierung. Der Rest blieb wartungsfrei.

Ein Nachteil des Zweitaktmotors ist im Schiebebetrieb der unruhige Lauf. Er mindert den Fahrkomfort. Dem wirkt der Freilauf entgegen. Wenn der Fahrer Gas wegnimmt, wird die Kraftübertragung unterbrochen. Sie wird geschlossen, wenn der Fahrer Gas gibt oder wenn die Fahrgeschwindig­keit unter die Leerlaufdrehzahl sinkt. Der Freilauf lässt sich auch sperren. Im Freilauf können die Gänge zwei bis vier der teilsynchronisierten Ge­triebe ohne zu kuppeln geschaltet werden. Der Fahrer braucht nur das Gas wegzunehmen, dann kann er den Schalthebel in den nächsten Gang ziehen. Das Drucklager, der Kupplungsautomat und das Kupplungsseil werden geschont. Aus der DKW-Zeit stammten noch die Getriebe. AWE synchronisierte sie vom zweiten bis vierten Gang ab dem 31. Januar 1958. Für die Synchronisierungsringe musste das Getriebegehäuse ausgefräst werden, später wurde es mit Einbuchtung gegossen.

Schaltwerk und Getriebe des Nachfolgemodells 353 konnten in den 312 eingebaut werden. Das Kupplungsseil ist im Bogen verlegt, weil es beim Fahren die Bewegungen vom Motor und Getriebe gegenüber dem Rahmen ausgleichen muss. Deshalb beginnen im zu straff gespannten Seil irgendwann die Drähte zu reißen.

Pflegeleicht und rostanfällig

Der Wartburg hat eine Stahlblechkarosserie auf einem Kastenprofilrahmen. Hydraulische Trommelbremsen verzögern die Räder. Vorne hatte der 311 eine ­Einzelradaufhängung mit Querlenkern unten und Querblattfeder oben, hinten eine Starrachse mit hochliegender Quer­blattfeder und Längslenkern. Der 312 ver­fügte über Schrauben­federn und Einzelradaufhängung, vorne mit Doppel­quer­lenkern, hinten mit Schrägpendelhalbachsen. Jürgen Nagler: „Der 311 ist hart wie ein Brett, der 312 weich wie eine Sänfte.“ Die Härte des 311 war der ­Reibung zwischen den Blattfedern geschuldet. Findige Fahrer legten aufgeschnittene Fahrradschläuche zwischen die Fe­derblätter.

Der Trick sprach sich schneller herum als dessen Folgen

Nämlich das Durchfedern und Federbrüche. „Der Wartburg ist leicht zu durch­schauen“, sagt Harald Tänzer, der mit seiner Familie in Benneckenstein ein Museum für ostdeutsche Fahrzeuge unterhält.

Nach dem Abschrauben der Motorhaube, des Innen- und Außenkotflügels sowie der Schürze habe man alles im Blick. „Rostgefährdet sind alle Bleche, die überlappend verschraubt sind“, so der Benneckensteiner. „Rostschutz war Sache des Erstbesitzers“, erklärt Jürgen Nagler: „Man sieht heute noch, welcher Wartburg sofort ein Elaskon-Bad bekam!“ Oben zwischen Kotflügel und Spritzwand liege noch vor der A-Säule ein ­rostauslösendes Schmutz­lager. Ist die Zusammenführung von A-Säule, Längs- und Querschweller korrodiert, sind Schweiß­arbeiten vor­pro­grammiert. Der Abstand des Karossenquerholms zu den beiden Längsträgern muss unter der Spritzwand mindestens 15 Millimeter betragen, sonst sind die Karossenauf­lagen durch- oder wegge­rostet. Dann liegt die Karosserie auf dem Rahmen auf. Fahrwerksbewegungen werden nicht mehr von den Rahmenauslegern aufgefangen, der Rahmen kann brechen.

Reizvoll auch für Einsteiger

Viele Bordnetze sind von sechs auf zwölf Volt „hochgespannt“ und für ­zusätzliche Verbraucher eingerichtet ­worden. Neue Kabel wurden gelegt, alte Kabel woanders verlegt, Sicherungen ergänzt und neue Schnittstellen gebildet. Wer ohne Insiderwissen bei so einem Auto nach ­einem Kriechstrom oder Kurzschluss sucht, weiß, wovon hier die Rede ist.

Fehlen Teile, helfen frühere Gewohnheiten. Die Menschen kauften Vorräte, wenn es sie gab, um sie zu haben, wenn sie sie brauchten. Manchmal wurden sie nie gebraucht. Diese Teile lassen sich per Kleinanzeige oder Internet finden. Vieles werde inzwischen auch nachgefertigt, sagt Jürgen Nagler. Limousine und Camping werden regelmäßig angeboten. Kombi, Cabrio, Coupé, HT sowie der 313 Sport fast nie. Wenn doch, muss für ein gutes Coupé um die 20.000 Euro kalkuliert werden, für ein Cabrio deutlich mehr. Hier weichen die real erzielten Preise der wenigen Verkäufe stark von den „offiziellen“ Marktpreisen ab, wie sie von EurotaxSchwacke/Interclassic angegeben werden. Eine Limousine in ordentlichem Zustand kostet 3.000, ein Camping etwa 5.000 Euro. Tendenz steigend.

TEXT und FOTS: Peter Böhlke
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