Knutschkugel mit Kultstatus

BMW Isetta

Am 5. April 1955 präsentierte BMW der Presse in Rottach-Egern das "Motocoupé" Isetta. Für BMW war der von OSI lizensierte Kleinstwagen die Rettung vor der Pleite, heute genießt die "Knutschkugel" Kultstatus.

 
Enthüllungsgeschichte: Eine „Export” neben dem rollfähigen Chassis einer Isetta im Aufbau. © Jörn-M. Müller-Neuhaus
Enthüllungsgeschichte: Eine „Export” neben dem rollfähigen Chassis einer Isetta im Aufbau.

BMW hatte Mitte der 50er-Jahre des letzten Jahrtausends große Probleme: die Motorradproduktion ging zurück, weil viele potenzielle Kunden auf einen der damals populären Kleinstwagen umstiegen, die mehr Komfort, Sicherheit und vor allem Wetterschutz boten. Und die großen BMW-Limousinen 501 und 502 waren so teuer, das nur etwa 3.000 Stück im Jahr davon abgesetzt werden konnten. „BMW baut Fahrzeuge für Tagelöhner und Generaldirektoren“, spottete ein bedeutendes deutsches Nachrichtenmagazin über das Münchner Unternehmen.

Geld für eine Eigenentwicklung war in dem vom der Pleite bedrohten Unternehmen nicht vorhanden, aber der damalige Direktor Grewenig konnte 1954 die Lizenzrechte sowie die Produktionsanlagen der in Italien erfolgreichen Isetta von der Firma ISO erwerben. BMW ersetzte den 2-Zylinder-Zweitakter von ISO durch den aus der BMW R25/3 bekannten Einzylinder-Viertakter, der für die Isetta jedoch so stark modifiziert wurde, dass kaum noch Teile austauschbar waren.

Aus zunächst 250 Kubikzentimetern Hubraum holte das gebläsegekühlte, rechts an der Hinterachse montierte Triebwerk 12 PS, die über ein klauengeschaltetes Vierganggetriebe mit Rückwärtsgang und Einscheiben-Trockenkupplung auf die differenziallose Hinterachse wirkten und die Isetta auf 85 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit brachten. Ab Sommer 1956 wurde optional ein Motor mit 300 Kubikzentimetern und 13 PS Leistung angeboten. Der hatte mehr Drehmoment, was für entspannteres Fahren bei gleicher Höchstgeschwindigkeit sorgte.

Revolutionäres „Motocoupé“

Mit der nach vorne öffnenden Tür war die Isetta unter den Kleinwagen ein Exot, was auch erklärt, warum BMW für seinen jüngsten Spross den Namen „Motocoupé“ erfand: Man wollte sich absetzen von Kleinstwagen, die oft wie geschrumpfte große Autos aussehen, und von Kabinenfahrzeugen wie dem Messerschmidt.

Die damalige BMW-Pressemitteilung sah in der Isetta eine neue Fahrzeugklasse, die „… bestehende Verkehrsprobleme weitgehend positiv beeinflussen und einen großen Freundeskreis finden wird“.

Im Test der Zeitschrift „hobby“ vom Juli 1955 wurde die Wendigkeit der Isetta im Stadtverkehr gelobt und die Möglichkeit, von vorne in eine Parklücke einfahren und direkt zum Bürgersteig hin aussteigen zu können. Dank der Fronttür war der Einstieg verglichen mit anderen Kleinstfahrzeugen tatsächlich komfortabel, und auch die Platzverhältnisse waren für zwei Erwachsene ausreichend.

Die Rundumverglasung sorgte für ein großzügiges Raumgefühl und gute Übersichtlichkeit. Und bei geöffnetem Stoffdach kam richtiges Cabrio-Feeling auf!

Erfolg trotz Startproblemen

BMW stellte nicht nur die technischen Besonderheiten groß heraus, sondern beschrieb auch die Zielgruppen: „Die Isetta stellt die Ideallösung des Fahrproblems für alle dar, die ein wendiges, flinkes Fahrzeug bei geringen Betriebskos­ten ohne Park- und Garagen­schwie­- rigkeiten benötigen.

Das gilt für Lohn- und Gehaltsempfänger, Ärzte, Vertreter, Handwerker … und nicht zuletzt für die Dame, wenn der Hausherr mit dem ‚großen Wagen‘ unterwegs ist“, erfährt man in der offiziellen BMW-Pressemeldung vom April 1955.

Die größte Änderung im Vergleich zur originalen ISO-Isetta war der Wechsel vom Zweitakter zum Vierzylinder-Single. Das Fahrwerk wurde fast unverändert vom italienischen Original übernommen. Die Vorderräder sind einzeln an Schwingarmen aufgehängt und werden durch Spiralfedern und Teleskopdämpfer gebändigt, die beiden Hinterräder sind ohne Differenzial an einer nur etwa 50 Zentimeter kurzen Starrachse platziert und an Viertelelliptik-Blattfedern mit hydraulischen Stoßdämpfern aufgehängt.

Die Bremsanlage besitzt vorne Trommelbremsen und eine große Trommel am rechten Hinterrad. Seinerzeit galt die Isetta als sicher und komfortabel. „hobby“ lobt in seinem Test die gute Straßenlage, die überdurchschnittliche Wendigkeit sowie die gut ansprechenden Bremsen, kritisiert allerdings die aufgrund des geringen Radstandes von nur 1,5 Metern offenbar unvermeidlichen Nickschwingungen auf unebener Straße und die geringen Federwege.

Die „Motor Rundschau“ vom 25. April 1955 bezeichnete die Isetta als „gelungene Synthese zwischen Motorrad/Roller und viersitzigem Personenwagen“ und sagte dem Rundling eine große Zukunft voraus. Das traf auch ein: Die Isetta verkaufte sich hervorragend. Mit einem Preis von anfangs 2.550 DM gehörte sie zu den preiswertesten Kleinfahrzeugen auf dem deutschen Markt, das Goggomobil etwa war stolze 500 DM teurer. Auch die Unterhaltskosten bewegten sich fast auf Zweiradniveau: 1955 betrug die Kfz-Steuer für die Isetta 43,20 DM, die Versicherung kostete 95 DM im Jahr und der Benzinverbrauch lag bei unter 6 Litern.

Lieferfristen waren anfangs die Regel, und bereits Ende November 1955 waren 10.000 Isettas vom Band gelaufen. Schnell häuften sich jedoch  Klagen über Probleme wie hohen Ölverbrauch und Defekte am Ventiltrieb.

Das änderte sich erst, als BMW im April 1956 das Gaspedal mit einer Stufenanschlagfeder ausstattete: Nun hatten die Fahrer mehr Gefühl im Gaspedal und überdrehten den kleinen Motor nicht mehr so häufig – immerhin rotierte die Kurbelwelle bei bergab möglichen 90 Stundenkilometern mit über 7.000 U/min, was den Motor vor allem thermisch stark beanspruchte.

Auch die ursprünglich als problemlos eingestufte Vorderachse sorgte für Verdruss: Erst die 1956 vorgestellte Isetta Export mit längerer Vorderachsschwinge, Bremsmomentstütze, größerem Federweg und senkrecht stehenden, weicheren Schrauben­- federn schuf hier dauerhafte Abhilfe.

Leider gingen in der Anfangszeit auch einige Isettas in Flammen auf, weil die Sitzfederung zu weich war: Die Federn der   Pols­­terung drückten auf die Polklemmen der unter der Sitzbank platzierten Batterie, was dann zu den Bränden führte. Als Gegenmaßnahmen wurde die Sitzfederung verstärkt und vor allem ein Batteriedeckel eingeführt.

Modellwechsel 1956

Bereits 1956 flaute der Isetta-Absatz spürbar ab, was auch an einer Preiserhöhung auf 2.750 DM lag. Ende 1956 wurde daher die stark überarbeitete Isetta „Export“ präsentiert. Neben technischen Verbesserungen an Fahrwerk, Motorkühlung- und Standfestigkeit fiel vor allem die veränderte Linienführung mit seitlichen Schiebefenstern und einer kleineren Heckscheibe aus Sicherheitsglas auf.

Die vordere Stoßstange war nun serienmäßig. Die „Export“ löste die alte Version nicht ab, da von diesem Modell noch große Stückzahlen im Handel auf Käufer warteten.

Die wurde als Isetta „Standard“ weiterhin angeboten und kostete nun 2.490 DM, während die neue „Export“ für 2.750 DM bei den BMW-Händlern stand. Beide Versionen waren mit dem 250er- oder 300er-Motor lieferbar. Wie erhofft, zogen mit der „Export“-Version die Verkäufe wieder stark an, und nach dem Abverkauf der „Standard“ waren Lieferfris­ten im Jahre 1957 wieder die Regel.

Bereits 1958 allerdings, es kamen immer mehr Kleinfahrzeuge der 600er-Klasse auf den Markt, flaute die Nachfrage erneut ab, woran auch optische Retuschen wie der geschwungene Isetta-Schriftzug auf der Fronthaube und eine neu gestaltete Heckpartie im Modelljahr 1959 wenig änderten.

Trotz des zunehmenden Erfolgs größerer Fahrzeuge blieb die Isetta bis 1962 im BMW-Programm. Insgesamt entstanden von 1955 bis 1962 161.728 Exemplare, davon 153 Rechtslenker.

Vom Alltags- zum Kultmobil

Bis in die 70er-Jahre hinein gehörte sie in der BRD zum Straßenbild, heute ist sie selten geworden und genießt Kultstatus als Ikone des Wirtschaftswunders. Wie beliebt das kleine „Motocoupé“ ist, zeigt sich auch daran, dass die englische Firma Tritech vor einigen Jahren eine Isetta-Replika unter dem Namen „Tri-Tech Zetta 300“ anbot!

TEXT und FOTOS: Jörn Müller-Neuhaus
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